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  • michaeljoerghaas

Morokko mit einer Katze 2

Gemeinsam auf der Reise „Gleich“, sagte, „ich mach schnell dein Häuschen fertig.“ Ich räumte einen Karton aus, in den ich schmutzige Kleidung gesteckt hatte. Wenn ich nicht auf sie aufpassen wollte oder konnte, würde sie damit vorlieb nehmen müssen. Er bot reichlich Platz zum Schlafen und um ein paar Katzenschritte in die eine und ein paar in die andere Richtung zu marschieren. Als ich Mitsu hineinsetzte, inspizierte sie die Lagen aus Toilettenpapier, die Wattebäusche die ich zur Polsterung hinein gelegt hatte, den flachen Plastikteller mit Wasser, der schwer umzukippen war. Außerdem hatte ich ein durchschwitztes T-Shirt hineingelegt, damit sie durch den vertrauten Geruch, weniger einsam war. An diesem Abend ging ich in Rick ́s Café. Ein Pianist spielte „As time goes by“, die Melodie, die Rick (Bogart) an Ilsa (Bergmann) erinnert hatte und die er nicht hören wollte, um nicht erinnert zu werden. Als ich mein Zimmer verließ, atmete Mitsu ruhig und tief. Das kleine Herz rief auf dem rot – weiß getigerten Fell ein leichtes regelmäßiges Zittern hervor. Ich bestellte einen Whiskey, wie ihn Rick getrunken hatte, als er Ilsa vermisste und wie er ihn trank, als sie unerwartet in seinem Leben wieder auftauchte. 1956, elf Jahre, nachdem sich die Nazi-Gespenster verflüchtigt hatten, war Marokko unabhängig geworden. Ich dachte an Rick, der sich furchtlos und clever den Schergen Hitlers entgegengestellt hatte. Auf den ersten Blick wirkte er kalt und abgeklärt, enttäuscht über den Lauf seines eigenen Lebens und den der Geschichte. Aber diese Kälte verbarg eine innere Verletzlichkeit und Anteilnahme, die sich im rücksichtsvollen Umgang mit Victor Laszlo (Paul Henreid), Elsas Mann, zeigte. Als ich meinen Whiskey trank, war ich davon überzeugt, dass Bogart mit Mitsu genauso umgegangen wäre wie ich. Er hätte zu ihr: „Schau mir in die Augen, Kleines“ gesagt, nach Sam, dem Pianisten, gerufen und ihn gebeten, etwas Milch zu besorgen. Dann hätte er sich eine Zigarette angezündet und der Katze beim Schlabbern der Milch zugesehen. Als ich nach Hause kam, lag Mitsu auf meinem Kopfkissen.

Die Wellen von Essaouira

Zwei Tage später kamen wir nach Essaouira. Für Mitsu war Essaouira die erste Station ihrer Reise. Der Wind wehte wild über die Strandpromenade, als wir ankamen. Wellen warfen sich gegen die Mauer, die die Stadt vom Meer trennte. Das Wasser stieg an der Mauer senkrecht in die Höhe. Die Wassersäulen standen, blitzende Tropfen sprühend, vor dem brausenden Meer. Dann klatschten sie auf die Promenade. Ich parkte das Auto ein paar hundert Meter entfernt, sicher vor dem fliegenden Salzwasser, in einer Seitenstraße. Ein großes Café auf der Promenade bot Aussicht auf die windgepeitschten schäumenden Wellen, auf denen Surfer rasante Manöver fuhren. Mitsu blickte, von meinem Arm aus, hinaus aufs Meer. “Was sie wohl sieht?”, fragte ich mich. Ob sie überhaupt so weit sah. Ich wusste, dass Katzen schlecht sahen. Sie erkennen Menschen vor allem an der Stimme und am Geruch. Aber das Wasser, das fast bis auf die Terrasse klatschte, machte ihr Angst. “Was möchten Sie bitte”, fragte ein Ober in einer weißen, abgetragenen, etwas zu engen Jacke. “Ob ihm die Jacke während langer Arbeitsjahre zu klein geworden ist?”, überlegte ich. “Einen Kaffee und ein wenig warme Milch.” Der Ober brachte den Kaffee und die Milch und sah uns eine Weile interessiert zu, bis er sich abrupt abwandte, als habe ihn eine innere Stimme an die Pflicht seiner Position erinnert. Als ich bezahlte, sagte er, dass ihm Katzen lieber wären als Hunde. Am nächsten Tag verbrachten wir viele Stunden an einem kilometerlangen, weißen Strand. Mitsu jagte Krabben, die über den Strand flitzten. Eine zog sich vor ihr im letzten Moment in ein Loch zurück. Eine Weile sah sie dahin, wo das Tier verschwunden war, wartete reglos, bis ihre Aufmerksamkeit von einem der anderen Flitzer angezogen wurde. Wir waren allein. Die bunten Surfsegel in der Ferne waren nur noch so groß wie Punkte. Wir picknickten. Auf dem Markt von Essaouira hatte ich eine billige Plastikdecke gekauft, die ich auf dem weißen Sand ausbreitete. Mitsu inspizierte, was ich anzubieten hatte. Französisches Brot, aus einer Bäckerei, die ein ehemaliger Fremdenlegionär führte. Milch, Käse, eine Flasche Rotwein. Mitsu trank die Milch, ich den Rotwein. Dazu aßen wir das Baguette, von dem ich Mitsu ein wenig in die Milch brockte. Den Camembert mochte sie nicht. Vielleicht war sie satt. Mir schmeckte er hervorragend. Als wir fertig gegessen hatten, schliefen wir im Schatten einer Kokospalme. Mitsu krabbelte auf meinen Bauch, der sich gut gefüllt ein wenig wölbte. Ich streichelte ihren Kopf. Sie streckte alle Viere von sich und lehnte sich gegen meine Hand. Ich merkte, wie sie mir mit jedem ihren kleinen Atemzüge etwas mehr ans Herz wuchs. Ich dachte an den Fuchs, der dem kleinen Prinzen an seine Verantworung erinnert hatte. Wusste sie, was mit mir geschah? Nein, natürlich nicht. Sie lebte einfach im Hier und Jetzt, wie alle kleinen Kinder. Auf dem Rückweg sahen wir einen Einbeinigen, der sich mit einer Krücke geschickt wie eine Ziege auf den Stadtmauern bewegte. Als ich näher kam, rief er “Gott ist groß. Es gibt nur einen Gott, das wissen wir Muslime und auch ihr Christen seid euch dessen bewusst.” Ich lachte. Das ärgerte ihn. Er hüpfte mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf mich zu. Als er nur zwei Meter von mir entfernt war, hob er die Krücke, hüpfte auf einem Bein weiter in meine Richtung. Ich flüchtete eine schmale Treppe hinunter Richtung Innenstadt – Mitsu eng an mich gepresst. Als wir den einbeinigen Gegner abgehängt hatten, legte ich Mitsu auf meinen Arm und ging langsam und heftig atmend weiter. “Was hätte ich tun sollen? Ich kann doch keinen Einbeinigen verprügeln. Das würde mir nicht zum Ruhm gereichen.” Sie leckte meine Hand. Im Hotel erzählte ich von dem Einbeinigen. “Ah, Ali. Er hält sich für einen unerkannten Nachfolger des Propheten. Er hat Visionen, die denen im Koran sehr ähnlich sind. Wenn du ihm ruhig zugehört und deinen Respekt gezeigt hättest, hätte er dich als Rechtgläubigen erkannt und in Ruhe gelassen. Einmal haben wir ihn in ein Irrenhaus gesperrt. Aber er hat die Pfleger mit seinen Predigten genervt. Die haben ihn nach einem Monat wieder laufen lassen. Er ist nicht wirklich gefährlich. Wenn er jemanden mit seiner Krücke erwischt hat, lässt er gleich wieder von ihm ab.” “Schön zu wissen”, sagte ich und bestellte eine Wasserpfeife und süßen Tee. Mitsu setzte sich neben mich auf ein großes rotes Kissen und sah dem Spiel des Rauchs zu.

Die Schlangen von Marrakesch In Marrakesch fanden wir Quartier in der Nähe des Djemnaa el Fna, einem riesigen Platz, dem pralles Leben aus allen Pflastersteinen strömt. Wir setzten uns vor eine der Essbuden, die von einem alten faltigen Berber und seiner jungen, rundgesichtigen Frau betrieben wurde. Die beiden machten große Augen, als ich für Mitsu Ziegenmilch bestellte und sie auf den Tisch setzte. “Wo hast du die her?”, fragte der Alte. Ich erzählte, wie der kleine Junge die Katze getreten hatte. “Die Kleine hat Glück, dass sich die Zeiten geändert haben”, sagte der Mann. “Früher, als der Islam in Marokko respektiert wurde, wäre das nicht passiert.” “Du meinst der Islam verbietet es, Katzen zu misshandeln?”, fragte ich. “Ja, Allah, der Allmächtige hat Mohammad durch den Heiligen Koran gesagt, dass die Katzen die Verbündeten der Menschen sind. Katzen stehen unter dem Schutz des Islam.” “Ich weiß, dass Hunde bei euch als unrein gelten und kaum Ansehen genießen und getötet werden dürfen. Aber ich sehe keinen wesentlichen Unterschied zwischen Hund und Katze.” “Du kommst aus Deutschland. Für euch sind göttliche Gebote nur wichtig, wenn ihr sie versteht. Gläubige Moslems hinterfragen den Koran nicht. Er ist absolut.” Er lächelte und fuhr fort: “Aber in diesem Fall ist der Unterschied zwischen Hund und Katze eindeutig und sogar für Menschen wie dich einsichtig. Katzen fangen Ratten und Mäuse. Welcher Hund kann das schon? Die Katzen sind die Hüter der Kornkammern. So steht das im Koran, unserem Heiligen Buch.” Ich verzichtete darauf, mit ihm über die mögliche Nützlichkeit von Hunden als Hüter der Häuser zu sprechen und ließ mir eine Portion Gemüse und Couscous schmecken. Er sah mich an, als käme ich vom Mond, als ich ihm sagte, ich wäre Vegetarier. Aber auch er verzichtete darauf, mich zu belehren und mir zu sagen, was ich schon wusste: dass Allah durch Mohammad den Menschen Tiere als Nahrung zugedacht hat, mit Ausnahme von Schweinen und allen Raubtieren. Denn es steht im Koran, dass die Eigenschaften der verspeisten Tiere auf die Menschen übergehen. Ich war froh, dass Mitsu eine Katze war und so – bei ihm – den Respekt genoss, den der Koran für ihre Art vorgesehen hatte. Ein Schlangenbeschwörer in der Nähe saß auf einem Teppich und spielte jaulende Musik auf einer Tröte, die er vor dem breiten Hals einer Kobra hin und her bewegte. Er hatte einen Turban auf, sein Kinn war von einem weißen Bart bedeckt. Auf dem Teppich lagen Münzen, die Zuschauer hingeworfen hatten. Die Kobra folgte den Bewegungen des Mannes, als wäre sie hypnotisiert. Langsam senkte der Mann das Musikinstrument vor dem Kopf der Kobra, die sich, ihm folgend, kleiner machte und endlich auf dem Boden eines Korbes ankam. Als der zusammengerollte Schlangenkörper in dem Korb zu liegen gekommen war, verschloss ihn der Mann mit einem geflochtenen Deckel. Er blickte mich an: “Kleine Katzen sind eine Leibspeise von Kobras.” “Ich weiß”, sagte ich. “Aber sie werden sich wohl mit Mäusen und Fröschen zufrieden geben müssen. Die hier ist nicht zu haben.” “Ihr Menschen aus dem Westen seid merkwürdig”, sagte er. “Esst Schweinefleisch, lebt mit Hunden...brrr, mir läuft es bei der Vorstellung schon kalt der Rücken runter. Und jede Katze lässt westliche Männer sentimental werden wie Weiber.” Ich hatte keine Lust, ihm meine Lebenseinstellung zu erklären und ihm die Regeln des Islam für den Umgang mit Katzen zu erklären, die er vermutlich missachtete, um mich zu ärgern. Oder mir seine Ausreden anzuhören, wenn er sie kannte und ging, kurz grüßend, weiter.. Feuerspeier hielten sich brennende Fackeln vor ihre rußverschmierten Gesichter und bliesen helle Flammen in den schwarzen Nachthimmel. Mitsu verkroch sich in der Jackentasche. Ermutigend kraulte ich ihren Nacken. Jongleure mischten sich mit den Feuermenschen, warfen Kegel in die Luft, fingen sie auf, drehten sich dabei um die eigene Achse. Die Kegel flogen durch die Flammen. Sieben zählte ich bei einem Jongleur, dem der Schweiß auf der Stirn stand. Einer, der besonders große Feuerstöße aus seinem Mund blies, feuerte die anderen an: “Yalla, yalla”, wiederholte er viele Male. Am nächsten Morgen unterhielt ich mich beim Frühstück mit einem Engländer, dessen Jeep abfahrbereit vor dem Restaurant stand. Ich erzählte ihm, dass ich den Toubkal besteigen wollte. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt, grauhaarig und hatte eine gerade sportliche Körperhaltung, höflich und angenehm im sprachlichen Ausdruck, würdigte er mein Vorhaben als mutig und gefährlich. “Auch ich werde in ein paar Tagen zu einer Tupkalexpedition ausrücken”, sagte er. “Du darfst den Berg auf keinen Fall unterschätzen. Es liegt viel Schnee dort oben. Außerdem bist du ohne Bergkamerad und trotzdem nicht allein.” Er blickte auf Mitsu, die auf dem Tisch ihre warme Morgenmilch trank. “Nicht das Gewicht deiner Begleiterin wird dir Probleme machen, sondern die Verantwortung, die du für sie trägst.” Er lachte. “Danke”, sagte ich. “Ich werde vorsichtig sein.” “Wenn du möchtest, kannst du dich meiner Expedition anschließen. Heute Abend werden zwei Kunden aus England eintreffen. Es ist noch ein Platz frei.” Ich nahm das Angebot des Engländers nicht an und war am nächsten Morgen unterwegs nach Imlil, dem Ort, von dem die Wanderungen auf den Toubkal ihren Ausgang nehmen. Die Besteigung des Toubkal im Hohen Atlas

Auf dem Weg zum Fuß des Tschebel Toubkal dachte ich an die Warnung des englischen Abenteurers. “It is very dangerous.” Er hatte very betont und auch dangerous. Der Toubkal ist über 4000 Meter hoch. In den höheren Lagen liegt Schnee. Vielleicht besteht Lawinengefahr, überlegte ich. Die Höhe selber schien mir nicht gefährlich. Sicherlich musste ich mit starken Kopfschmerzen rechnen, wenn ich den Weg zu schnell hoch liefe. Eine Übernachtung auf einer Hütte unterwegs zum Gipfel war eingeplant. Ich sorgte mich um Mitsu. Die Belastung war für das junge Tier sicherlich nicht natürlich. Aber immerhin brauchte sie nicht zu gehen und konnte ruhig die Aussicht genießen. Alle paar hundert Meter wurde die Landschaft weiter. Ich blickte zurück. Die Hügelketten schienen endlos bis zum Horizont zu reichen. Ob Mitsu sah, was ich sah? Ob ihr die Weite der Horizonts etwas bedeuten konnte? Ich hatte gelesen, dass Katzen die Welt anders wahrnehmen. Ein Dorf mit Häusern, die aus groben Steinen zusammen gefügt waren, säumte unseren Weg. Wieder riefen Kinder: “Toubkal, Monsieur!”. Sie zeigten nach oben, wo sich der Berg in Wolken verlor. Die Steinbrocken auf dem kleinen Pfad wurden größer, das Gehen schwieriger. Mitsu lag zusammengerollt im Inneren der Jackentasche und schlief. Ich atmete schneller, schwitzte. Wegen des starken Windes hatte ich den Reißverschluß der Jacke hoch gezogen. Ich setzte mich auf einen Stein, den Rücken zum Gipfel, von dem der Wind wehte. Ich kraulte Mitsu am Nacken. Sie öffnete blinzelnd die Augen, stemmte sich in der Jackentasche nach oben und blickte hinunter ins Tal. Tief unten, war ein grüner Punkt zu sehen, die Ente. In einem Seitental lag ein Berberdorf. Rotbraune Lehmhäuser mit kleinen Fenstern, deren Rahmen weiß gestrichen waren, zogen sich einen Hang entlang. Die Häuser lagen inmitten von grünen terrassenförmigen Feldern. “Ein karges Leben”, dachte ich. “Die Menschen hier werden ihr Dorf selten verlassen. Ihre Welt besteht aus dem Berg, den grünen Feldern, ihren Kindern, der Gemeinschaft und ihrer Religion.” Im Reiseführer hatte ich gelesen, dass die Berberkultur im Gegensatz zur arabischen matriarchalisch geprägt war. Ich holte Schokoladenkekse aus dem Rucksack, die ich in Marrakesch gekauft hatte. Mitsu sah zu mir hoch und miaute. “Du magst keine Kekse”, sagte ich. “Katzen mögen keine Kekse.” Sie kletterte an der weißen weiten Hose hoch, die ich für die Tour gekauft hatte und forderte wieder einen Anteil von meinem Essen. Ich setzte sie auf den Boden, legte ihr ein Stück von dem Keks hin. Sie roch interessiert daran. “Siehst du”, sagte ich, “das schmeckt dir nicht.” Kaum war der Satz ausgesprochen, hatte sie den Keks bis auf den letzten Krümel verspeist. Vom Tal her näherten sich schnelle Schritte. Ein Mann mit einer Kraxe, auf der zwei Wasserkanister befestigt waren und anderer Proviant, lächelte mir zu, als er mich sitzen sah. “Müde?” fragte er auf Französisch. “Ja, wo willst du mit deinem schweren Gepäck hin?” “Oben auf die Hütte. Wir sehen uns dort.” Er ging leichten Schrittes weiter, als marschierte er ohne Gepäck im ebenen Gelände. “Komm Mitsu”, sagte ich. “Wir sehen uns oben, ha. So einfach lassen wir uns nicht am Wegrand überholen.” Ich trank einen Schluck Wasser, steckte Mitsu in die Jackentasche, schulterte den schweren Rucksack und marschierte schneller als vorher. Aber trotz meiner Anstrengungen wurde die Gestalt des Wanderers vor uns immer kleiner, bis sie schließlich im Hochnebel nicht mehr zu sehen war. “Gut Mitsu, wir sehen ihn oben”, sagte ich. Es war eine Stunde vergangen, seit der Mann mit der Kraxe an uns vorübergezogen war. Dank seines Ansporns waren wir schnell voran gekommen. Ich holte für Mitsu etwas Fisch mit Reis aus dem Rucksack, was ihr noch besser zu schmecken schien als die Kekse. Die Wolkendecke öffnete sich und gab den Blick auf ein glitzerndes Schneefeld frei, über dem die Hütte lag. Ihre Mauern waren aus massiven braunen Steinen. Die Fensteröffnungen waren nicht viel größer als Schießscharten. “Um die Kälte draußen zu halten und die Wärme drinnen”, ging mir durch den Kopf. Oben auf dem Dach wehte die marokkanische Fahne. Eine Stunde später waren wir dort. Der leichtfüßige Mann saß auf der Terrasse. Die Kraxe stand leer gegen die Tür gelehnt. Er stand auf: “Hassan, ich bin der Hüttenwirt. Gut bist du gegangen. Du bist das Bergsteigen ja nicht gewöhnt”, sagte er auf Französisch. Und dann: “Eine kleine Katze. Ich glaube, das ist die erste, die die Toubkal Neltner Hütte erreicht hat. Die ist aber lieb. Wo hast du die her?” Als ich ihm geantwortet hatte, zeigte er mir das Matratzenlager. Dann lud er mich ein, mit ihm auf der Terrasse Tee zu trinken. Für Mitsu hatte er ein wenig warme Ziegenmilch. Die Sonne schien. Die Temperatur betrug 10 Grad. Die Hütte lag auf 3200 Metern. Der schneebedeckte Gipfel des Tupkal grüßte uns zu herunter. Ein Gruppe von Wanderern betrat mit schweren steigeisenfesten Stiefeln die Terrasse. Sie trugen dunkle Sonnenbrillen, die auch gegen seitlichen Lichteinfall schützten. “Wenn du die Katze bei dir unter der Decke behältst, kannst du sie mit ins Matratzenlager nehmen.” Hassan lachte. “Es gibt keine Regeln in Bezug auf Tiere bei uns auf der Hütte.” Mitsu schlief ruhig neben mir unter der Decke. Ich hatte Kopfschmerzen. Der Aufstieg war schnell gewesen. Gegen Mitternacht fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Hassan weckte die Bergsteiger, die wie ich weiter- schliefen, als die ersten anfingen, Steigeisen an ihre schweren Schuhe zu schnallen. “Komm, es ist Zeit”, sagte er. “Morgens ist noch kein Wind. Das ist die beste Zeit zum Steigen.” Ich lieh mir Steigeisen bei Hassan, hinterließ zwanzig Dollar als Sicherheit dafür, drückte ihm die Hand. “Der Weg ist einfach”, sagte er, “bis später.” Es stimmte. Die Spuren im Schnee waren fest getreten. Die Steigeisen hielten meine Füße auch auf eisigen Abschnitten. Mitsu schlief in der Jackentasche in einem warmen Socken. Ab und zu spürte ich, wie sich sich bewegte. Solange sie nicht miaute, brauchte ich mich nicht um sie zu kümmern. Oben öffnete sich die Welt nach allen Seiten. In der Ferne lag Marrakesch. Unter uns war Imlil. Die kleineren Schwestern des Toubkal grüßten respektvoll zu uns herüber. Wir hatten den höchsten Punkt Nordafrikas erreicht. Weit im Süden sah ich den Rand der Sahara im Morgendunst. Ich holte Mitsu aus meiner Jackentasche und setzte sie in den Schnee. Sie versuchte, dem kalten ungewohnten weißen Zeug zu entkommen, hob ein Pfötchen, als könne sie damit ihren ganzen Körper über den Schnee erheben. Sie versuchte die diagonal gegenüber liegende Pfote gleichfalls zu haben. Für einen Moment stand sie wie ein Yogi in einer Pose, die sicherlich Konzentration erforderte. Dann verlor sie die Balance, schien erst seitlich zu kippen, konnte den seitlichen Fall abfangen und fiel mit dem Kopf zuerst in den weichen Neuschnee. Ihr Gesicht sah aus wie mit Puderzucker bestreut, als sie sich frei gestrampelt hatte. Ich verkniff mir ein Lachen, um sie nicht zu kränken. Sie hüpfte auf meine Oberschenkel, die leicht zu erreichen waren, da ich im Schnee saß. Die Bergsteiger mit den schweren Stiefeln begannen den Abstieg. “Alles Gute”, sagte ich. “Bergheil”, antworteten sie im Chor. Wir saßen noch eine Weile. Mitsu schmiegte sich an mich und schnurrte.

Wer Granada nicht gesehen hat... Tage später nahmen wir in Tanger Abschied von Marokko. Die Passformalitäten verliefen reibungslos. Mitsu schlief, als die Grenzer kontrollierten. Dann hatte uns die Autofähre mit samt der Ente verschluckt. Ich saß eine Weile im Bauch des Schiffes und war dankbar, dass meine kleine Freundin unbemerkt geblieben war. Mitsu atmete ruhig. Leise rief ich ihren Namen. Sie streckte ihre Pfötchen nach vorne, hob dabei den Hintern, brachte die Brust nach unten und gähnte. “Was hältst du davon, die Überfahrt nach Spanien am Oberdeck zu verbringen?” Die Metallstufen zum Oberdeck waren steil. Es war schwül. Mitsu saß in meiner Jackentasche und verfolgte den Weg nach oben. An Deck wehte ein frischer Wind. Eine blonde Touristin wurde von einem männlichen Begleiter fotografiert, als sie ihm mit wehenden Haaren zulächelte. Eine Gruppe von Italienern ließ sich von einem Gruppenmitglied fotografieren, das sich wieder einreihte, um von einem anderen aufgenommen zu werden. Die Verladeklappe war verrostet, auch die großgliedrigen Ketten, die über eine mannshohe Winde gerollt waren, waren braun von Rost. Die Küste Marokkos entfernte sich von uns. Ich hielt nach Walen Ausschau. Sie sollen die Straße von Gibraltar regelmäßig durchschwimmen. Eine dunkle Welle hielt ich für den Rücken eines Buckelwals. Ich sah auf die Katze, die ihre Pfoten auf den Rand der Jacke gelegt hatte. Wir hatten die erste Hürde übersprungen. Bis Deutschland waren weitere Kontrollen zu passieren. Das grenzfreie Europa lag noch in der Zukunft. Der spanische Kontrolleur lächelte komplizenhaft. “Hast du Gras bei dir?” “Nein, und wenn, würde ich es dir nicht sagen.” Meine Antwort gefiel ihm. “Du siehst nicht aus, als würdest du kiffen. Dein Auto schon. Und was ist in dem Karton?” “Dreckige Wäsche.” Wir fuhren durch Andalusien. Christentum und Islam hatten die Gegend über Jahrhunderte gemeinsam geprägt. “Wer Granada nicht gesehen hat, hat nichts gesehen”, sagen die Andalusier chauvinistisch über ihre schönste Stadt. Mitsu schlief auf dem Beifahrersitz, als wir ins Zentrum Andalusiens hineinfuhren. Ich fand eine kleine Unterkunft in der Nähe der Alhambra. Als das Gepäck wohnlich im Zimmer verstaut war, gingen wir essen. Die Katze hing, den Kopf nach draußen, in einem leinernen Beutel, den ich so über die Schulter gehängt hatte, dass sie freien Blick nach vorn hatte. Der Wirt grinste, als er die Katze sah und fragte, wie viele andere, die wir getroffen hatten: “Wo hast du die her?” Ich erzählte ihm die Geschichte. “Du warst mit ihr auf dem Toubkal? So was Verrücktes habe ich noch nie gehört.” Er brachte Tapas und Fischstückchen für Mitsu. Ihre eilige Hast beim Essen hatte ruhiger Sicherheit Platz gemacht. Sie hatte zugenommen, ihre Augen waren klar, ihr Fell war sauber. Der Wirt setzte sich zu uns. Der Tisch war aus altem Holz. Ich strich prüfend mit Daumen und Zeigefinger über die Tischplatte. “Teak”, sagte er. “Das hält ewig. Wenn es nicht mehr schön ist, schleifst du es ab und es sieht wieder aus wie vorher.” “Was würdest du für einen Rundgang empfehlen?”, fragte ich. “Was nicht”, antwortete er. “Granada ist ein Gesamtkunstwerk. Aber wenn du unbedingt willst, treffe ich für dich eine Auswahl.” “Schieß los!” “Die Alhambra”, sagte er. “Die Alhambra ist die Seele Granadas.” “Und sonst?” “Das reicht dir für Tage, wenn du aufmerksame Augen hast. Die Alhambra gegen die Berggipfel der Sierra Nevada. Nachts, bei Mondschein, sehen die Mauern aus, als wären sie aus glänzendem Silber. Im Schein der untergehenden Sonne glänzen sie golden. Nimm diese Verwandlung in dich auf wie die facettenreiche Seele einer Frau.” Staunend stand ich Stunden später vor dieser steinernen Entsprechung einer weiblichen Seele. Trotzige Mauern erzählten davon, dass die Alhambra Feinde abwehren sollte. Verspielte Türmchen berichteten von ihrer Zeit als Palast. Die kleinen Häuschen erinnerten daran, dass sie auch als Stadt gedient hatte. “Wie eine Frau muss sie zeigen, dass sie sich wehren kann”, kam mir in den Sinn. “Bevor sie sich dem Prinzen öffnet und ihm Heimat gibt und Heimat für sein Volk und seine Kinder ist.” Ein Fremdenführer erzählte von den ersten Erbauern der Alhambra, von Fürsten, die den Bau weitergeführt hatten, davon, dass ein christlicher König die Festung 1492 erobert hatte, dass die Kirche Einzug hielt und ein Franziskanerkloster. Dass den Truppen Napoleons die Paläste als Unterkunft dienten, dass sie einen Teil davon in die Luft sprengten, als sie sich zurückzogen. Mitsu wachte auf, als sich zwei Katzen auf einer der alten Mauern ein Drohduell lieferten. Ängstlich hörte sie die klagenden Laute. Es war die Zeit des Sonnenuntergangs. Wir verließen die rötlich leuchtende Alhambra. Ein günstiges Abendmenu auf einer Tafel vor einer Taverne enthielt eine reiche Auswahl an Tapas und Rotwein, was mir zusagte. Ich bestellte Gemüsetapas und eine Karaffe Roten und fragte für Mitsu nach Fischresten. “Gerne”, sagte der Wirt. Ich blickte hinauf zur Alhambra, die silbern gegen den dunklen Himmel leuchtete. Der Wein war gut. Langsam vermischten sich unter seinem Einfluss Gegenwart und Geschichte. Am nächsten Morgen schlenderte ich mit Mitsu in meiner Umgängetasche durch die Gassen Granadas. Gegen das Gebirge der Sierra Nevada erhob sich nun grau die Alhambra. Granada war schön. Ich verstand den Stolz der Andalusier auf ihre Stadt. Aber ich wollte weiter. “Es gibt eine Zeit für Alles”, ging mir durch den Kopf und die Zeit, die ich in Granada verbringen wollte, war zu Ende. Als wir aus der Stadt hinaus fuhren, stand die Sonne tief im Westen. Die Alhambra leuchtete rot. Mitsu lag zusammen gerollt neben mir. Trennung in Deutschland Ein paar Tage später hatten wir die deutsche Grenze überquert. Der Fuchs des Kleinen Prinzen hatte Recht. Wir sind verantwortlich für Wesen, die wir uns vertraut gemacht haben. Aber Füchse sind anders als Katzen. Sie sind wie Hunde. Wer einen Fuchs oder Hund zum Freund hat und dessen Vertrauen gewonnen hat, hat sich verpflichtet. Hunde lassen sich nicht einfach von einem Menschen an einen anderen weiter geben, ohne zu leiden. Hunde sind Menschen seelisch verbunden. Katzen brauchen die Zärtlichkeit der Menschen, ihren Schutz gegen Hunde und Raubvögel, fordern mit Recht, dass sie gefüttert werden, wenn man angefangen hat, sich um sie zu kümmern. Denn dadurch verlernen sie, für sich selber zu sorgen. Aber Katzen sind nicht mit einem bestimmten Menschen verbunden. Auch Mitsu nicht. Für die kleine Katze war es nicht schwer, zu akzeptieren, dass sie bei der Freundin meiner Schwester leben würde. Diese Freundin hatte Familie, drei Kinder, die Mitsu liebten, sie streichelten, wann immer die kleine mit stolz erhobenem Schwanz um Zuwendung bat. Futter gab es mehr als genug. Ein Katzenklo mit feinem Sand war eingerichet. Mitsu hat nicht zurückgeschaut, als Bettina sie aus unserem Haus trug, in dem sie ein paar Tage verbracht hatte, aber nicht bleiben konnte. Und so musste ich feststellen, dass ich an der Katze mehr hing als sie an mir. Und als mir dieser Gedanke kam, freute ich mich ein wenig darüber. Denn mit der kleinen Trauer, die ich empfand, konnte ich wohl leichter leben, als das einem Tierbaby möglich gewesen wäre.



Mitsu war nicht ganz so klein

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