Über den Wolken von Kamerun
- michaeljoerghaas
- Aug 30, 2021
- 6 min read
Die Besteigung des Mount Cameroon ohne einheimischen Führer ist nicht erlaubt. Ich bezahle 110 000 Francs (170 Euro) für eine Dreitagestour auf den Gipfel und auf einer längeren Route zurück nach Buea. Im Preis ist ein Zelt, ein Schlafsack und eine Matte enthalten, ein Träger und ein Guide. Der Mount Cameroon ist mit ein wenig über 4000 Metern ein beeindruckender Vulkan und darf nicht unterschätzt werden. Die größte Gefahr ist, sich in der Weite des Massivs zu verlaufen. Tag 1 Vögel an einem wunderbaren Beginn Ich bin früh am Treffpunkt und erwarte etwas widerwillig eine Meute von Wanderern. Stattdessen bin ich um halb sieben ganz allein mit dem Gesang von Vögeln, die in einem dichten Blätterdach den Tag begrüßen, ohne sich sehen zu lassen. Wir stapfen los, als der Morgenzauber der Vögel verflogen ist. Um halb neun. Und wir sind nur zu dritt: Sam, der Guide und Robinson, der Träger, die sich um, den Wanderer aus Deutschland kümmern, der vor hat, an seinem Geburtstag den Gipfel zu erreichen. Doch die Götter haben Muskelschmerzen, Schweiß und Sonnenbrand vor diesen Bergerfolg gesetzt. Der Weg geht durch Wald: über Wurzeln, durch Rinnsale, unter Blätterdächern hindurch. Ein mit Moos überwachsener Urwaldriese, dessen Zweige die Wolken kitzeln, erregt meine Aufmerksamkeit. Ein „Canopee-tree“ erklärt Sam. „Du kannst dich unter sein Dach stellen, wenn´s regnet und bleibst trocken.“ Wasser ist Leben Tolle Sache, dass man im Regen unter dem Baum nicht nass wird. Trotzdem ist es sinnvoll, den Berg in der Trockenzeit zu erwandern. Denn besser im Staub hinauf zu schnaufen als in Sturzbächen nach unten zu schwimmen. An einer Quelle füllen Sam und Robinson ihre Wasserflaschen auf. Meine erste Plastikflasche ist zur Hälfte geleert. Aber ich fülle sie hier nicht wieder auf. Denn ohne Desinfektionsmittel sind mir die Quellen zu unsicher. Ein Durchfall würde den Gipfelerfolg zur Qual oder unmöglich werden lassen. Robinson schleppt noch andere Flaschen für mich den Berg hinauf. Was würde ich ohne ihn machen? Dass Wasser Leben ist, wird gerade in der Trockenzeit deutlich. Hunderte von Schmetterlingen, Hummeln und Bienen haben sich im Feuchten niedergelassen und flattern, tanzen vor begeisterter Lebensgewissheit über und auf dem kleinen Bach, der kaum zentimeterhoch versickert, bevor er zu fließen beginnt. Wo der Wald zu Ende geht, beginnt die Savanne mit hohem Gras, das sich anmutig im Wind wiegt, wie sanft rollende Wellen im Meer. Vor 100 Jahren lagen hier Löwen im Gras, um arglose Antilopen zu überfallen. Nun sind die Antilopen so scheu, dass sie von Menschen kaum mehr gesehen werden. Und die Löwen kommen niemandem mehr vor die Augen oder gar vor die Flinte. Die hörbare Stille Wir schlagen unser Lager in 2800 Metern Höhe auf, an einem der selten gewordenen Orte, an denen man die Stille hören kann. Ich sitze auf einem Stein, den Blick hinunter zu Nebelfetzen und lausche der Stille. Dann wird sie plötzlich weggeschaltet, weil ein elektrisches Gerät eingeschaltet wird. Ich werde mir bewusst, dass ich mich neben den Fundamenten einer Siedlung befinde, die für gut betuchte Touristen und Einheimische an den mit Lawa bedeckten Hängen des größten Vulkans Cameroons gebaut wird. Der elektrische Schleifapparat dient zum Glätten rauer Bretter, die zu Bettgestellen für die reichen Wanderer werden sollen. Ich verwünsche die „Segnungen“ der Bergerschließung und vermisse die Stille, die sich mir nur für Minuten zu Gehör gebracht hat. Für Momente kommt sie zurück. Ich beginne tiefer aus dem Bauch heraus mit der Erde im Gleichklang zu atmen. Dann schaltet einer der Arbeiter sein Multifunktionsgerät ein und macht Musik. Ich verkrieche mich im Zelt, nachdem die Sonne untergegangen ist. Als die Arbeiter eingeschlafen sind, könnte sich die Stille wieder hervorwagen. Aber in dem kleinen Zelt findet sie keinen Raum, um sich auszudrücken. Erst beim Pinkeln um Mitternacht, als die Sterne strahlen, als wollten sie tief in meine Seele leuchten, ist die Stille wieder da. Welch wunderbares Konzert. Aber ich muss zurück ins Zelt, denn die Kälte kriecht an mir hoch. Für wenige Grade über Null bin ich nicht ausgerüstet. Tag 2 Stille Geburtstagsfeier am Gipfel
Am nächsten Morgen bin ich ein Jahr älter geworden. Sam und Robinson machen Kaffee und bieten klammen Fingern heiße Plastikbecher an. Ein Vater-Sohn-Pärchen aus Frankreich ist am Abend im Lager vor dem Gipfelsturm eingetroffen. Zwei Stunden später ist der Gipfel in Sichtweite. Sam ist nervös, weil ich seiner Meinung nach zu oft stehen bleibe, um Bilder zu machen. Aber darauf kann ich nun wirklich nicht verzichten. Denn wieder kommen werde ich wohl nicht zum Cameroon-Berg. Immerhin bin ich vor ein paar Stunden 58 geworden. Als ich 20 Jahre alt war, erschien mir jemand mit über 50 steinalt. Nun bin ich also acht Jahre älter als ein Stein. Bei dem Gedanken muss ich lachen. Dann schleppen sich Vater und Sohn, zwei Guides und ich die letzten Meter zum Gipfel hinauf. Robinson, der Träger, ist zum nächsten Lager abgestiegen. Es ist schön hier oben. Meine Blicke gehen über das weite Land, das sanft unter uns liegt. Nur der Wind hat kein Einsehen in mein Bedürfnis nach Beschaulichkeit, kühlt mich aus und kürzt meinen Aufenthalt auf der Bergspitze deutlich ab. Abfahrt im weichen Vulkangestein Vor dem Abstieg wünsche ich mir heimlich alles Gute. Dann fahren wir die ersten zweihundert Höhenmeter auf lockerem Vulkangestein ab. Wie schön das ist. Und welch hübsches Geburtstagsgeschenk! Samuel ist zufrieden. Endlich kommen wir so schnell voran, wie er sich das vorstellt. Für eine Weile überlässt er mir die Führung auf der staubigen Skipiste. Ich blicke zurück, was man im Leben nur auf Bergtouren tun soll, um zu sehen, wie die Riesen langsam immer kleiner werden. Und sehe wie der Gipfel von unten aussieht wie ein Maulwurfshügelchen, das neben anderen Hügeln kaum beeindruckt. Fast habe ich vergessen, auf welchem der Hügel wir ganz oben waren. Um mich zu vergewissern, frage ich Sam. „Der rechts“, sagt er. Wir gehen einen Kilometer über eine Ebene, in der spitze Vulkansteine unangenehm durch die dünnen Sohlen meiner Joggingschuhe drücken. Sam hat wieder die Führung übernommen. Er zeigt mir Krater verschiedener Ausbrüche, tiefe Schlünde. Aus einem steigt noch Rauch auf, der nach Schwefel riecht. Weiter unten überqueren wir ein Lawaband, das aussieht, als wären die Ausschüttungen der Erde erst vor ein paar Monaten hier durchgeflossen. „Die Lawa von hier ist bis nach Limbe gekommen“, erklärt Sam. Die spärliche Vegetation, die wohl primär genannt wird, fasziniert mich. Ich bücke mich tief, um die richtige Fotoperspektive zu finden.
Gedanken an Shiva und Kali
Dann denke ich an Shiva, den Gott von Zerstörung und Wiedergeburt. Wie gut die indischen Götter die Ambivalenz des Lebens verkörpern. Ein Bild von Kali, das mir aus einem Tempel in Singapur in Erinnerung ist, geht mir durch den Kopf, wo die Schlangenköpfige Menschen frisst, was ihre Aufgabe ist. Sie kann nicht anders als Göttin des Todes. Euthanasie kennt kein Götterhimmel, sei er christlich, islamisch oder hinduistisch. Irgendwann erreichen wir die Savanne, das Meer, in dem die Wellen aus Gras sind. Nebel wabert über dem Gras. Wie schön die Savanne ist, fällt mir wieder auf. Wir gehen einen schmalen Pfad im Meer des Grases, wo wir unsere Füße nicht sehen. Schmerzhaft stoßen meine Zehen gegen verborgene Steine, was mich wieder an den Sinn fester Wanderschuhe erinnert. Die leichten Schuhe an meinen Füßen sind nur angenehm für den Weg nach oben. Im Zauberwald Wir erreichen den Wald, in dem Farne wie Bäume in den Himmel wachsen, als wäre ich in einem Land von Riesen unterwegs. Ich mag Farne als niedrige Stauden, aber noch mehr als schlanke Bäume, die oben ein dichtes Dach gegen den Himmel bilden. Ab und zu sind Bäume durch moosüberwachsene Lianen miteinander verbunden. Der Wald sieht ewig alt, würdig und im Verfall begriffen aus. Der Eindruck des Verfalls kommt daher, dass hier keine Förster Anweisungen zum Aufräumen geben, die von Waldarbeitern ausgeführt werden. Hier ist die Natur noch fast sich selber überlassen. Abgesehen von wandernden Touristen mit Führern und Trägern, deren Spuren kaum auffallen würden, wenn sie nicht durch Plastikreste rücksichtslos betont würden. Wie der alle paar Meter ins Auge springende Müll die Würde des alten Waldes zerstört! Es ist als würde jemand einem Senior ein Schildchen mit der Aufschrift „gebraucht“ hinten an die Jacke kleben. Als mir die Füße fast unerträglich weh tun, erreichen wir Lager zwei. Wir sind noch im Wald und dadurch windgeschützt. Robinson baut mein Zelt auf. In einem rußgeschwärzten aus leichten Fertigsteinen bestehenden Raum kocht Sam Spaghetti. Auch in Lager zwei werden Hütten für gut betuchte Touristen gebaut. Die Nacht in ungefähr 2400 Metern ist wärmer als die letzte. Aber die Stille ist unhörbar geworden. Tag 3 Rückkehr in die Zivilisation Am nächsten Morgen lässt sich ein kleiner bunter Vogel fotografieren. Mein Fotografenherz macht einen Freudensprung. Die ersten Kilometer gehen dann wieder durch Wald. Langsam werde ich der schmerzenden Füße überdrüssig. Vor allem die Zehen tun höllisch weh, weil sie bei jedem Schritt nach unten gegen die Schuhspitzen drücken. Am frühen Nachmittag erreichen wir die ersten Häuser Bueas, die ich, der Zivilisation ein wenig entwöhnt, als Fremdkörper im Grün und Blau der Natur empfinde. Robinson und Sam gratulieren mir zum Bergerfolg, der erst durch die Rückkehr eingelöst worden ist, denn oben bleiben geht ja nicht wirklich. Ich lade die beiden zu einem Bier ein. Als wir Telefonnummern austauschen und ein Radio zu dudeln beginnt, denke ich an die Minuten der Stille in Lager 1 und blicke dankbar hinauf, wo sich der Berg in Wolken gehüllt hat. Beim Abschied beiße ich die Zähne zusammen, um wegen der schmerzenden Oberschenkel nicht aufzustöhnen. Meine Hände sind verbrannt von der Sonne. Um nicht mimosenhaft zu erscheinen, schultere ich meinen Rucksack und gehe zu Fuß zu einem Hotel, obwohl mir meine Bergbegleiter ein Taxi nahe legen. Die Dusche wird zu einem wunderbaren Erlebnis.




Opmerkingen