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Une Aventure de Surf (1) - ein Surfabenteuer

Plötzlich werden die Wellen höher

 

Das Wasser ist kühler geworden um den Dragonhead (ungefähr 250 Kilometer südlich von Da Nang, Vietnam) und die Luft ist unfreundlich frisch.
Aber ich bin bereit, mich zu überwinden. Beim Surfen setze ich mich fast immer mit meiner Angst auseinander, Angst vor den Wellen und Angst vor Strömungen. Ich gehe langsam hinein in das vom Sand braun gefärbte Wasser, schiebe dabei das Surfbrett über die Oberfläche.

Warum mache ich das, warum überwinde ich mich? Ich weiß es nicht genau. Ein Grund ist wohl, dass ich viel über mich lerne, wenn ich etwas tue, das mir (auch) Angst macht. Ein Ziel ist, langsam die Grenzen meiner Angst zu verschieben. Wenn ich eine schöne Welle erwische und sich die Angst in Glück verwandelt, ist mir etwas Wichtiges gelungen.


Und der Dragonhead gilt als ein Surfspot, an dem die Wellen mild und die Strömungen sanft sind. Meistens jedenfalls.

Es ist kurz vor zehn, als ich anfange zu paddeln und merke, dass ich genau sein muss, wenn ich mit einer Welle auf die kurze erregende Reise gehen möchte.
Wenn die Welle nämlich flach bei mir ankommt, läuft sie ungerührt von meinen Beschleunigungsbemühungen einfach unter mir durch. Wenn die Welle zu steil ist, nimmt sie mich mit in die Brechung. Das kann manchmal unangenehm sein. Wichtig ist also, steil, aber nicht zu steil in die Welle zu gehen.

Nach ein paar Versuchen merke ich, dass die Wellen höher werden. Nun braucht das steile Nehmen der kleinen Wasserberge mehr Überwindung. Ich bin unschlüssig, versuche den richtigen Abstand zu finden, bin unvorsichtig bei einer Markierungsboje und verheddere mich mit der Leine, die mich mit dem Surfboard verbindet. Angst, dass jetzt eine Welle kommt und den Bewegungslosen unter sich begräbt.

Dann bin ich wieder frei.

Am Strand sehe ich einen anderen Surfer und beschließe, für heute abzubrechen. Mit dem spielerischen Gleiten, wird es heute wohl nichts werden.
Vorsichtig paddle ich Richtung flaches Wasser, häufig zurückschauend, um auf die ankommenden brechenden Wellen rechtzeitig reagieren zu können.
Eine Rückströmung hält mich in der Brechungszone. Das ist der ungünstigste Bereich. Also lasse ich mich von der Strömung wieder ins tiefere Wasser tragen.

Aber nun wohin? Ich möchte dorthin, wo die Wellen niedrig sind, um mit solchen freundlichen Wellen an Land zu kommen. Stattdessen komme ich weiter raus. Weil ich versuche, den brechenden Brechern zu entgehen, muss ich ihnen entgegen paddeln und entferne mich vom Strand. Erschreckt merke ich, dass ich nun schon ein gutes Stück vom Land weg bin.


Ich blicke mich vergeblich nach anderen Surfern um. Immer weiter entferne ich mich vom Strand.

Ich setze mich aufs Brett, versuche Ruhe in meine Gedanken zu bringen.
Um mich herum große Wellen, die sich ein Stück weiter landeinwärts donnernd überschlagen.
Statt der gewünschten Ruhe stellt sich Unruhe ein. Alle Möglichkeiten, die ich mir vor Augen halte, sind ebenso beunruhigend:
Ich könnte mich auf die Brecher einlassen und schlimmstenfalls in der Zone festgehalten werden, in der sich die Wellen überschlagen.
Ich könnte weiter versuchen, den Wasserbergen auszuweichen und immer weiter hinaus geraten.

Unentschlossen blicke ich wieder um mich, suche nach einem anderen Surfer, nach irgendetwas und sehe ein Schiff, ein paar hundert Meter weiter draußen. Das könnte ich erreichen. Ich paddle los. Die Wellen werden größer. Aber sie brechen nicht mehr: Täler, in die ich sanft hinab gleite; Höhen, auf die ich langsam gehoben werde. Wellen sind Geheimnisse.


Manchmal ist das Schiff hinter Bergen verschwunden oder unsichtbar in Tälern.
Erstaunt sehe ich wenig später, dass das Schiff vor Anker liegt. Ich bin jetzt nur ein paar Meter entfernt, das Schiff wirkt verlassen. Vielleicht ist die Crew mit einem dieser runden Bötchen an Land gegangen, überlege ich und dann, wie ich allein, hinauf komme. Das Heck bewegt sich in der Dünung auf und nieder. Vielleicht könnte ich es mit einem schnellen Griff erreichen. Ich müsste das Schiff belagern, bis ein Teil in Reichweite kommt, müsste näher ran. Auch dabei wäre die richtige Position, der richtige Moment entscheidend.

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Une Aventure de Surf (1) - ein Surfabenteuer

Unerwartet kommen Männer aus der Kajüte. Ich winke. Einer lässt eine Strickleiter herunter. Dann sind wir oben: Das Brett und ich.

Mit Gesten und Worten, die ich nicht verstehe, werde ich in das einzige Zimmerchen eingeladen. Mir wird eine Zigarette angeboten. Ich rauche, spüre den Stress, der die hoffnungsvoll hoffnungslose Zeit des Vielleicht-Verlorengehens begleitet hat, der sich jetzt, wo das Leben in Sicherheit ist, ausdrücken kann.
Mir wird schlecht. Ich gehe zum Heck und spucke mein Frühstück ins Wasser, in drei Schüben.
Nun fühle ich mich besser.

Nach einer Weile, frage ich, ob vielleicht einer Facebook hat. Klar, alle sind vernetzt. Also schicke ich an meinen Freund, der auch irgendwo surfen war, die Nachricht, dass es mir gut geht.

 

 

Ein Tag auf dem Fischerboot

 

Das Schiff ist geschätzte 20 Meter lang und sieben Meter breit. Ich bin, stelle ich mir vor, Mitglied einer Mannschaft geworden, in der Hierarchie ganz unten. Der Kapitän heißt The. Wir sind gleich alt, beide Jahrgang 58. Dann gibt es Fischer 1 und Fischer 2, wie ich sie der Einfachheit halber nenne, weil ich ihre Namen nicht kenne. Fischer 1 hat gefühlvolle runde Augen und ein von Sehnsucht geprägtes Gesicht, das rund und freundlich aus seiner Hängematte schaut, wenn er später darin liegen wird.
Fischer 2 ist dünn und ein wenig schüchtern, aber darauf bedacht, sich dies nicht anmerken zu lassen und Autorität zu zeigen. Vielleicht wird er mich also zum Kartoffelschälen verdonnern. Schlimmer noch, mich Kielholen lassen, wie in den Seeräuberfilmen. Hoffentlich darf ich dabei den Wetsuit tragen, der mich beim Surfen warm hält.
Ich schätze Fischer eins und zwei auf ungefähr 40.
Nummer vier ist vielleicht 30 und Steuermann. Er sitzt auf einem großen, schönen, fest verschraubten Holzstuhl vor einem Steuerrad und blickt hinaus in die Wellen, hinüber zum Bug, der sich mit den Wellen hebt und senkt.

Meine Befürchtungen sind unbegründet. Ich werde nicht zu Küchenarbeiten herangezogen, sondern wie ein Gast freundlich behandelt. Der hagere Kapitän gibt mir trockene Kleidung, an der er riecht, um sie zu prüfen. Er
fordert mich auf, auch meine Unterwäsche auszuziehen. Das lasse ich und schlüpfe mit den Surfshorts in die Trainingshose, in das Hemd, den Pullover und den zweiten Pullover. Das ist angenehm.

Der Steuermann fragt mich mit dem Google-Übersetzer, der extra für solche Fälle gemacht zu sein scheint, ob ich an Land möchte.
Eigentlich gern. Aber wie. Denn das große Schiff kann ja nicht in die Brandungszone und nicht ins flache Wasser.

Ich werde also an Bord bleiben, bis Fischer 1 und Fischer 2 die Laderäume mit Fisch gefüllt haben und der Steuermann irgendeinen Hafen angefahren hat. Das ist immerhin eine interessante Erfahrung. Und so falle ich der Crew nicht mehr als nötig zur Last.

Als die Sonne untergegangen ist, rechne ich mit dem Beginn der Fischzüge. Denn das Schiff ist mit starken Lampen ausgerüstet, mit denen Fische und Tintenfische angelockt werden. Jetzt werden sie gleich eingeschaltet und Fischer 1 und 2 werden aus ihren Hängematten klettern und die Beute mit Netzen an Bord hieven.

Aber die beiden Fischer machen keine Anstalten, mit der Arbeit anzufangen. Stattdessen beginnen sie mit dem Zubereiten des Abendbrots, schneiden Tomaten und eine Ananas in kochgerechte Stückchen, legen einen Makrelenschwanz in heißen Wasser und Reis in einen anderen Topf mit Wasser. Die Töpfe stehen auf einem am Boden festgeschraubten Gasherd in einem kleinen an der Wand fest geschraubten Schrank.

Das Essen schmeckt köstlich. Aber ich kann es nicht sorglos genießen. Denn die Brecher scheinen stärker zu werden und mit ihnen verstärkt sich die Schwierigkeit, meinem Entleerungsdrang nachzukommen. Schon das Pinkeln verlangt von einer Landratte wie mir ziemliche Überwindung. Die Seemänner stellen sich beim Wasserlassen ans Heck, eine Hand am Zapfhahn, die andere locker an einem Holzbalken und Wasser marsch, gleiten dabei mit dem Schiff hinauf, fallen dabei hinunter und werden nicht grün oder weiß im Gesicht. Mir fällt das schwerer. Tapfer stehe ich meinen Mann und sehe ängstlich, wie sich mein Wasser mit dem des Ozeans vermischt, (weiß zwar, dass alles irgendwie eins ist. Aber manchmal ist mir das keine Beruhigung).

Aber wie geht das mit den grobstofflichen Ausscheidungen?

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Boat People Borneo Malaysia DU C2 Lesen
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Une Aventure de Surf (3) - ein Surfabenteuer

Nach dem Essen verschwindet Fischer 2 mit ein paar Seiten aus einem vietnamesischen Leseheftchen zum Stuhlgang am Heck und kommt erleichtert wieder.
Ich habe keine Ahnung, wie er das gemacht hat und hoffe, dass wir Land erreichen, bevor ich es ihm unter Anleitung nachmachen muss.

Während der Aufregung in den Wellen war ich froh, dass ich nicht in die Hose gemacht habe. Aber nun hat sich meine Verdauung auf geheimnisvolle Weise beruhigt – vorerst.

 

Auf meine Frage nach dem Fischen, antworten sie, dass sie das morgen tun wollen.

 

Die vier Seemänner machen es sich, nachdem sie mir ein Nachtlager auf einer Matte am Boden eingerichtet haben, in ihren Hängematten bequem. Die Decke ist dünn, aber die Pullover halten mich warm.
Plötzlich helle Lichter vom Meer, von einem Schiff auf Jagd nach Tintenfischen. Es sieht gespenstisch aus, wie die Wellen auf das Glitzerding zurollen, seinen Bug tief hinabdrücken, um ihn dann hoch aus dem Wasser heben. Und bei solchen Bedingungen fischen die unbekannten Seemänner.
Aber warum machen meine Vier es den anderen nicht nach oder besser noch vor? Haben sie die Hoffnung auf erfolgreiche Fischzüge aufgegeben? Oder ihre Netze zu Hause vergessen?
Ihre Untätigkeit macht mich traurig, weil die Armut der Besatzung nur zu offensichtlich ist.

Am nächsten Morgen schläft die Crew bis sieben Uhr und müsste doch eigentlich schon beim Fischen sein.
Stattdessen macht Fischer eins das Frühstück. Es gibt eine sättigende Reis-Maispampe, die jeder der vier mit Unmengen Zucker vermischt. Verständnislos nehmen sie zur Kenntnis, dass ich den gelblichen Brei ohne Zucker esse.

Der Steuermann erklärt mir mit dem Google-Übersetzer, dass wir einen nördlich gelegenen Hafen anfahren werden. (Ich bin erleichtert, dass ich keine weitere Nacht auf dem Boot verbringen muss.)

Wenig später kämpft sich das alte Schiff, dessen Motor nicht für solche Anstrengungen gemacht ist, durch die hohen Wellen, gegen den Wind aus dem Norden.
Langsam und ein wenig wehmütig sehe ich, wie wir an dem Strand vorüberfahren, an dem ich gestern zu meiner

Surftour aufgebrochen bin. (Schade, dass ich nicht einfach zurückschwimmen kann.)
 

Ich setze mich neben den Steuermann, der den Bug in Richtung der anrollenden Wellen hält. Glücklicherweise bin ich nicht seekrank. Das Erbrechen gestern war sicherlich nicht (nur) durch die Wellen ausgelöst, sondern auch durch die Angst, die Erleichterung und durch die Zigarette.
Ich überlege, wie es sein muss, auf einem Schiff zu arbeiten. Den größten Teil des Lebens auf dem Meer verbringen, in Sturm und Wellen oder bei spiegelglatter See und stechender Hitze. In einem kleinen Zimmerchen mit drei Kameraden. Für Menschen, die das Meer lieben und Vertrauen in die Seetüchtigkeit des Schiffes haben, mag das ein richtiges Leben sein.
Bei diesen Gedanken fliegt eine leere Plastikflasche hinaus aufs Meer. Alle Abfälle werden in die See geworfen. Kann das Liebe sein?
Der Steuermann runzelt die Stirn und zeigt auf den Bildschirm. Wir sind kaum vorangekommen.
Ich gehe zum Heck. Langsam dreht sich das Schiff. Dann ist das Stampfen der Maschine zu einem Schnurren geworden, das mühsame Kämpfen hat sich in ein ruhiges Gleiten verwandelt. Erstaunt und anfangs erschreckt sehe ich, wie uns die Wellen überholen, wie fünf Meter hohe Wasserwalzen auf unser Schiffchen zurollen und es sanft heben und wieder senken.
Wieder passieren wir die Stelle, wo ich gestern losgepaddelt bin. Nun kommen wir mit Rückenwind gut voran.
Unser Ziel ist eine Meeresbucht ungefähr 15 Kilometer südlich, zu der es nur einen schmalen windumtosten, wellengepeitschten Eingang gibt. Wer heute hier hinein will, muss Seitenwellen aushalten.
Dem Steuermann ist das unheimlich. Er dreht ab.
Da ergreift der hagere Fischer das Steuerrad. Die seitlichen Wellen bringen das Schiff mehrmals in bedrohliche Schräglage.
Dann sind wir durch.
Die schmale Einfahrt ist durch hunderte von Betonpoldern gesichert.

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Une Aventure de Surf (4) - ein Surfabenteuer

Die schmale Einfahrt ist durch hunderte von Betonpoldern gesichert. Daneben läuft eine kleine Welle wie aus dem Bilderbuch.

Und nun lerne ich meine Schiffskameraden von einer anderen Seite kennen.
Als ich mich umziehe, zurück in meinen inzwischen getrockneten Neoprenanzug schlüpfe, werde ich vom Kapitän unwirsch aufgefordert, den Außenbereich des Schiffes zu verlassen. Offenbar will er meine mögliche Flucht verhindern.
Der Steuermann erklärt mir mit Hilfe seines intelligenten Telefons, dass die Hafenbehörde meine Ankunft untersuchen müsse und ich noch eine Nacht an Bord zu verbringen hätte. Es sei doch schon zwei Uhr nachmittags.

Mir platzt der Kragen und ich werde auf Deutsch und Englisch ziemlich laut.
„Ich lasse mich auf diesem Kahn nicht einsperren. Capito? Wenn´s sein muss, paddle ich mit meinem Board an Land. Seid ihr denn total bescheuert?“
Ich öffne die Luke, in der mein Board untergebracht ist und habe zwei Männer gegen mich. Die anderen halten sich für alle Fälle im Hintergrund bereit.

Vom Pier höre ich Rufen und sehe einen Mann in grüner Uniform.
Der hagere Fischer steigt in eine schwimmende Suppenschüssel, lässt mich aber nicht mitfahren. Wenig später kommt er wieder, der Steuermann steigt in die Schüssel und nun werde ich zu dem wartenden Polizisten gebracht.
Schnell geht es weiter mit kleinen Motorrädern zur Hafenbehörde.
Ich werde in einen Raum gebracht, in dem ein Beamtennovize von ungefähr 18 eine Show mit vielen gestylten Frauen ansieht. Der große Flachbildschirm steht neben einer vergoldeten Statue von Ho Chi Minh.


Mir wird grüner Tee angeboten.
Dann wird mir ein Arzt vorgestellt.

„Haben Sie irgendwelche Beschwerden?“, fragt er mich auf Englisch, bevor er meinen Blutdruck misst.
„Nein, es geht mir gut.“
130/80. Wir sind beide zufrieden.

Nun muss ich meine Geschichte erzählen. Anschließend ein Protokoll auf Englisch unterschreiben.

„Ich würde jetzt gerne ein Motorrad organisieren, das mich in meine Unterkunft bringt“, sage ich.
In diesem Moment geht die Tür auf. Herein kommt Autorität in Verbindung mit einem kleinen Mann, der die Ermittlungen über diesen merkwürdigen Deutschen, der so unerwartet in den Hafen gekommen ist, sofort an sich zieht.
Ihm folgt ein Kameramann.
Der Chef, wie ich ihn der Einfachheit halber nenne, bittet mich, ihm gegenüber Platz zu nehmen und meine Geschichte zu erzählen.
Neben uns nimmt eine Kamera das denkwürdige Geschehen für die Nachwelt und die Nachrichten auf.

„Ich muss mir über Ihre Person Klarheit verschaffen und brauche dazu Ihren Pass.“
„Der ist in der Unterkunft, gleich an dem Strand, wo ich surfen war.“
„Hier sehen Sie, dort habe ich übernachtet und mein Gepäck ist noch dort.“
Ich zeige ihm die Lage der Pension auf Google-Map mit hilfe des Telefons eines Novizen.
Kurz darauf klingelt sein Telefon. Der Surfer aus dem Nachbarzimmer ist dran, neben ihm der junge Mann, der mir das Zimmer vermietet.
„Du findest meinen Pass in dem kleinen blauen Koffer. Wenn du den aufklappst, siehst du einen Reißverschluss. Dahinter ist er. Mach bitte ein Foto davon und schicke es an sein Handy.“
„Klar mache ich. Schön, dass du noch lebst.“

„Bitte schreiben Sie nun, ein paar Sätze, wie sich die Sache zugetragen hat“, sagt der Chef und gibt mir ein Schulheft.
Ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, als ich ein kleiner Junge war und einen Deutschaufsatz schreiben musste.
Ich schreibe dem Chef-Deutschlehrer zu wenig. Mir ist kühl und langsam verliere ich die Geduld.

„Ich werde Sie hernach in Ihre Unterkunft bringen lassen. Nur noch etwas Geduld.“
Der Chef beginnt den Aufsatz für mich zu schreiben. Er endet mit den Sätzen.
„Ich bedanke mich bei der Crew des Fischerboots für meine Rettung und bei den Beamten der Hafenbehörde.“
„Schreiben Sie das. Sie können auch Kleinigkeiten ändern.“

Ich schreibe den Aufsatz des Chefs im wesentlichen ab, schreibe Hilfe statt Rettung.

Dann bin ich fertig.

Der Chef sagt mir, dass der Vermieter mit einem Taxi unterwegs sei, um mich abzuholen.
Aber, du wolltest mich doch in die Unterkunft bringen lassen, denke ich und schweige zunächst.
Dann fällt mir ein, dass ein Taxi ziemlich teuer wäre.
„Er soll mein Motorrad nehmen. Der Schlüssel liegt deutlich sichtbar im Zimmer rum.“
„Es klappt“, sagt der Chef, nachdem er telefoniert hat. „Er wird gleich losfahren.“
„Schauen Sie“, sagt er strahlend, als zwei Beamte auf einem Motorrad mit meinem Surfbrett ankommen.

 

Der Filmemacher hat die Kamera nun draußen aufgebaut. Der Chef in der Mitte, neben ihm der Steuermann, ich mit dem Surfbrett. Händeschütteln – wie im Fernsehen, denke ich.


Eine halbe Stunde später kommt mein Vermieter. Er wird sofort vom Chef verhört. Er hat meinen Pass dabei, legt ihn vor. Das Original wird mit den Bildern verglichen.

Als wir gehen wollen, bittet mich der Chef, noch anzufügen, dass ich mein Surfbrett erhalten habe.

Ich füge dies meinem Aufsatz hinzu, drücke etwas zu fest auf und kann von Glück sagen, dass ich alles nicht nochmal schreiben muss. Denn der Riss in dem Blatt mit meinem Bericht hätte als Grund dafür genommen werden können.

Ich brause durch die Nacht. Wie schön sich Freiheit anfühlt. Kalt zwar, aber wunderbar.

Epilog:

Mein Freund erzählt mir zwei Tage später, dass der Chef, der Steuermann und ich im Fernsehen waren.
Dort wäre berichtet worden, die Crew hätte mich 12 Seemeilen vom Land entfernt aus höchster Not vor dem Ertrinken gerettet.

Dafür hätten sie das Fischen unterbrochen.
„Sie werden Arbeitsausfall geltend machen. Der wird von der Regierung kompensiert. Vielleicht haben sie deshalb versucht, dich noch eine Nacht an Bord zu behalten.“

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